Stipendium 2012 - Art as Democratic Culture

Künstlerinnengruppe "institut für wahre kunst"

02.01.2022

Im Jahr 2012 vergab der Kulturbahnhof e.V. sein jährliches Arbeitsstipendium „Art as Democratic Culture“ an die Künstlerinnen des „instituts für wahre kunst“, die die Bedingung, ein partizipatives Kunstprojekt zur Förderung von Demokratisierungsprozessen zu schaffen, mit Begeisterung annahmen. Elke Jänicke (Dresden), Nina Schmidt und Saskia Göldner (beide Berlin) waren bereits zur Erstbegehung ihres temporären Arbeitsortes in den Ortsteilen Gaschwitz und Großstädteln davon überzeugt, die Bewohner_innen auf charmante Weise aus der Reserve locken zu können, um mit ihnen über das Lebensgefühl vor Ort ins Gespräch zu kommen. Bei einem Rundgang machte die künstlerische Leiterin des Kulturbahnhof e.V. Mandy Gehrt die Stipendiatinnen mit der Quartiersmanagerin Vera Stein sowie mit Margitta Schmidt, Leiterin des Jugend- und Begegnungszentrum Gaschwitz, bekannt und wies sie in die Geschichte und aktuelle mikrokosmische Situation auf dem übriggebliebenen Siedlungsstreifen des ehemaligen Braunkohleabbaugebietes ein.

Nach intensiven Diskussionen um Idee und künstlerisches Konzept, die für das „institut für wahre kunst“ maßgeblich an die Entstehung von kollektiven und individuellen Kunstwerken geknüpft sind, entschieden sie sich für ein Interviewprojekt, das filmisch festgehalten werden sollte. Um den Umgang mit Fremdheit und Andersartigkeit genauestens unter die Lupe nehmen zu können, ließen sie im August auf einer Miniparkanlage vor dem Gemeindeamt in Gaschwitz über Nacht ein begehbares Kunstobjekt auftauchen, das sich im Erscheinungsbild kaum von seinem Prototyp, einer Litfaßsäule am Eiscafé Venezia, in Großstädteln unterschied. Die weiße Säule der Künstlerinnen trug lediglich  den magentafarbenen Schriftzug ANGST und wurde nach und nach von den Anwohner_innen für ihre ironischen Kommentare und gewerblichen Ankündigungen genutzt. Der Säuleninnenraum wurde bei der Öffnung der Tür durch ein heimeliges Licht gefüllt, das beim Schließen wieder erlosch. Setzte man sich in der Säule auf die kleine darin montierte Sitzbank, dann blickte man auf einen großen, länglichen Spiegel und war umgeben von zart gemusterter, weißlich-grauer Samttapete. Kurz darauf begannen Elke Jänicke und Saskia Göldner mit den Dreharbeiten für das Interviewprojekt. Sie erfüllte großes Staunen über das Aufsehen, das die Säule erregt hatte und welche Gedanken man sich dazu macht. Mit den Gesprächen und zahlreichen Momentaufnahmen ist dann im September ein sehenswerter Dokumentarfilm mit dem Titel „angst essen säule auf“ entstanden, der den ungeschönten Schatten der Säule zum Aufhänger nimmt, um Protagonisten der angeblichen Postwendedepression über Integration und Mitbestimmungsrecht zu Wort kommen zu lassen.

Anfang Oktober konnte man schließlich während eines öffentlichen Picknicks den Film jeweils allein in der Säule anschauen.

~ Angst essen Säule auf ~

Am Dienstag, den 2.10.2012, um 16.00 Uhr lädt das institut für wahre kunst auf der Grünfläche gegenüber des ehemaligen Gemeindeamtes in Gaschwitz zur Eröffnung ihres Kunstprojektes mit Filmvorführung und anschließendem Picknick ein. Die Künstlerinnengruppe wird selbst anwesend sein und steht für Fragen und Gespräche bis in den Abend zur Verfügung. Gaschwitz und Großstädteln, zwei perlengleich an der Pleiße aufgefädelte Ortsteile Markkleebergs, sind Mittelpunkt dieser Arbeit im Rahmen des Kulturbahnhof-Stipendiums „Art as democratic culture“. Die Künstlerinnen riefen ein Projekt ins Leben, das sich in erster Linie an die AnwohnerInnen von Gaschwitz und Großstädteln wendet. Die Künstlerinnen stellten sich gemeinsam mit den AnwohnerInnen Fragen über das Lebensgefühlvor Ort, darüber wo das Urbane endet und das Ländliche anfängt und wie sich Nachbarschaft gestaltet in dem schmalen Streifen Heimat, der bis zur Wende beiderseits von Baggern flankiert war und nur sehr knapp der Zukunft als Mondlandschaft entkommen ist.